Das
West-Syndrom
W.J.
WEST, ein britischer Arzt, beschrieb 1841 erstmals dieses Krankheitsbild (er
nannte es "Salaam-Tic"), das er bei seinem eigenen Sohn beobachtete.
Eine weitere, heute kaum noch gebräuchliche Bezeichnung ist
"Propulsiv-Petit mal". Auch "BNS-Anfallsleiden", mit
Hinweis auf die für diese Erkrankung typischen
"Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe", wird als Bezeichnung benutzt. Im
englischen Sprachraum wird der Ausdruck „Infantile spasms“ gebraucht.
Fragen:
Welche Kinder
erkranken am West-Syndrom?
Was sieht man?
Was ergeben die
ärztlichen Untersuchungen?
Wie
wird behandelt?
Wie sind die
Aussichten?
Welche Kinder
erkranken am West-Syndrom?
Vom
West-Syndrom betroffen sind Säuglinge ab dem 3. Lebensmonat, besonders um den
5./ 6. Lebensmonat, bis ins 2. Lebenshalbjahr. Nach dem 1. Lebensjahr erkranken
nur noch 5 Prozent. Knaben sind häufiger betroffen als Mädchen (Verhältnis etwa
3 zu 2).
In
der Vorgeschichte der ersten Lebensmonate der Kinder finden sich oft Neugeborenenkrämpfe, auch fokalmotorische
Anfälle, zum Teil mit Generalisation.
Überwiegend
- bei etwa 80 Prozent - ist das Leiden strukturell-metabolisch
(symptomatisch) bedingt durch Schädigungen oder
Entwicklungsstörungen des Gehirns, die in etwa der Hälfte der Fälle schon
vor der Geburt erfolgten bzw. angelegt waren. So ist z.B. in 7% eine →tuberöse Sklerose die Ursache. Weniger häufig sind es
Verletzungen oder ein Sauerstoffmangel unter der Geburt, oder Infektionen nach
der Geburt, oder Stoffwechselerkrankungen.
Doch
kommen auch kryptogene oder idiopathische Erkrankungen vor
in etwa 20 % der Fälle. Diese Kinder entwickeln sich in der Regel bis zum
Auftreten der Anfälle unauffällig und haben auch eine recht gute Prognose.
Was sieht man bei
einem West-Syndrom?
Schon
vor Beginn der Anfälle ist bei den symptomatischen Fällen
meistens ein Entwicklungsrückstand der Kinder erkennbar. Die Muskelspannung des
Körpers ist oft vermindert, auffällig besonders durch eine Haltungsschwäche des
Kopfes. Die Kinder verlieren die Fähigkeit der Kontaktaufnahme, wie den
Blickkontakt und das Lachen, und der Blick schweift oft ins Leere. Auch
unnatürliches Verdrehen oder Rucken der Augäpfel (Nystagmus)
kommt vor. Zeitweise sind die Kinder sehr unruhig mit fahrigen, wie
automatischen Bewegungen, auch übertriebenen Verziehungen des Gesichts mit
Schmatz- und Schnauzbewegungen und Gähnen, dann plötzlich wieder auffällig
bewegungslos und apathisch.
Die
typischen Anfälle äußern sich in 3 Formen:
Bei
"Blitzkrämpfen" erfolgt
eine heftige myoklonische Bewegung mit blitzartigem
hoch-und-nach-vorne-Stoßen von Armen und Beinen (teils in Streckhaltung, öfter
aber etwas angebeugt), dabei Beugung des Kopfes und des Oberkörpers nach vorn.
Bei
"Nickkrämpfen" wird
lediglich der Kopf ruckartig vorgebeugt. Die Blitz- und Nickkrämpfe dauern nur
Bruchteile von Sekunden.
Die
"Salaamkrämpfe" beginnen
wie die Blitzkrämpfe, verlaufen aber zeitlich gedehnter – als „epileptische
Spasmen“ meist über eine Sekunde - mit kurzem tonischem
Verharren in der Rumpfbeugung und einer tonischen Starre der Extremitäten,
dabei gelegentlich Zusammenführen der vorgestreckten Arme über der Brust (daher
die Benennung nach der ähnlichen orientalischen Grußbewegung).
Alle
drei Anfallsformen können im Wachzustand wie im Schlaf und bei einem Kind auch
nebeneinander oder als nicht eindeutig einzuordnende Übergangsformen vorkommen.
Sie kündigen sich oft durch eine auffällige Unruhe des Kindes an und treten
häufig mehrfach kurz hintereinander im Abstand von 5 bis 30 Sekunden über
mehrere Minuten auf, selten auch bis 100 mal und öfter. Die Anfalls-Serien
werden besonders kurz nach dem morgendlichen Erwachen beobachtet. Nach bzw.
zwischen den Anfällen weinen die Kinder meistens kläglich. Die Blitz- und
Salaamkrämpfe können auch seitenbetont auftreten, was eine entsprechend
seitenbetonte Hirnschädigung nahe legt. Außer den typischen BNS-Krämpfen können
noch andere - sowohl fokalmotorische wie generalisierte
-Anfallsformen vorkommen.
Was ergeben die
ärztlichen Untersuchungen beim West-Syndrom?
Bei
den symptomatischen Formen der Erkrankung (s. oben) zeigen die bildgebenden
Untersuchungen meistens deutliche Hinweise auf Anomalien oder Defekte des
Gehirns, etwa eine Erweiterung der Hirnwasserräume, narbige Verdichtungen oder
Verkalkungen oder knotige Fehlbildungen des Gewebes, oder eine mangelnde
Hirnfurchung oder nicht altersgemäße Hirnreifung.
Die
neurologische Untersuchung ergibt meist umfangreiche - je nach
zugrundeliegender Ursache unterschiedliche - normabweichende Befunde.
Die
Blutuntersuchungen können vor allem abgelaufene oder akute Infektionen und Stoffwechselanomalien aufdecken.
Das EEG zeigt fast immer - in einigen Fällen nur im Schlaf -
den das West-Syndrom kennzeichnenden Befund einer "Hypsarrhythmie".
Dabei findet man sehr verlangsamte, nicht-rhythmische und überhöhte
(hochgespannte) Wellenfolgen mit eingefügten zahlreichen, zum Teil
generalisierenden epilepsietypischen Potenzialen
wechselnder fokaler und multifokaler Ausprägung.
Wie
wird ein West-Syndrom behandelt?
Die
Behandlung sollte möglichst frühzeitig erfolgen. Die wirksamste Behandlung wird
seit Jahrzehnten mit ACTH oder Corticosteroiden
durchgeführt, sie hat aber auch erhebliche Nebenwirkungen. Gut wirksam und
Mittel der ersten Wahl bei der tuberösen Hirnsklerose
als Ursache des Leidens ist Vigabatrin. Wegen
geringerer Nebenwirkungen (bei jedoch geringerer Wirksamkeit) wird gelegentlich
zunächst z.B. eine Behandlung mit Sultiam oder Valproat versucht. Auch die Wirkstoffe Clonazepam, Lamotrigin,
Felbamat, Topiramat und Zonisamid werden eingesetzt bei schweren
symptomatischen Fällen. In einigen Fällen (ca.10%) ist auch Vitamin B6 erfolgreich. Einen Behandlungsversuch mit
hoch dosiertem Vitamin B6 macht man deswegen oft am Anfang einer Therapie. Die
idiopathischen oder kryptogenen Erkrankungen reagieren meistens gut auf eine
Medikation. Bei den symptomatischen Fällen läßt sich in vielen Fällen keine
Anfallsfreiheit erreichen. Bei abgrenzbaren Hirndefekten als Ursache kann
gelegentlich eine Operation helfen.
Wie sind die
Aussichten für eine Ausheilung des West-Syndroms und die weitere Entwicklung
der Kinder?
Wie
bei der Behandlung sind die Aussichten, dass die Erkrankung günstig verläuft,
mit völliger Ausheilung ohne Folgeschäden, nur bei den idiopathischen oder
kryptogenen Fällen gut. Von den Kindern mit symptomatischer Erkrankung
überleben etwa 30 Prozent nicht das 2. Lebensjahr. Ein großer Teil - etwa die
Hälfte - geht über in ein Lennox-Gastaut-Syndrom, einige
Fälle münden auch in andere fokale symptomatische
Anfallsleiden. In fast allen symptomatischen Fällen kommt es - abhängig von
der ursächlich vorgegebenen Hirnfunktionsstörung – zu mehr oder weniger erheblichen
Entwicklungsstörungen.
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