Welche Bedeutung hat
die Vererbung bei Epilepsien?
Epilepsien sind nur
ausnahmsweise monogene - durch ein einzelnes Gen verursachte - Erbkrankheiten. Solche Ausnahmen sind einige
seltene Krankheitsbilder - zusammen für nur etwa 1-2 Prozent aller Epilepsien
bei Kindern verantwortlich - wie die familiären gutartigen
fokalen Säuglings-Epilepsien oder die familiäre nächtliche
Frontallappenepilepsie (ADNFLE). Bei diesen Erkrankungen konnte ein dominanter
Erbgang und ein einzelner Erbfaktor für die Erkrankung nachgewiesen werden.
Daneben gibt es genetisch bedingte Erkrankungen, bei denen
andere Funktionsstörungen zunächst im Vordergrund stehen, etwa Störungen des
Stoffwechsels oder Fehlbildungen der Organe, besonders des Gehirns. Erst als
Folge dieser Störungen treten oft epileptische Anfälle hinzu, die meist schwer
behandelbar sind. Beispiele sind die → tuberöse
Sklerose oder das → Angelman–Syndrom,
das → Rett-Syndrom und das → Sturge-Weber-Syndrom.
Die weitaus meisten idiopathischen
(genetischen) Epilepsien sind nicht durch einen besonderen Erbfehler
verursacht, sondern beruhen auf einer durch viele verschiedene Gene erhöhten
Anfallsbereitschaft.
Zahlreiche erbliche Anlagen haben Einfluss auf den Bau und
die Funktion und auf den Stoffwechsel der Nervenzellen. Jeder Mensch besitzt
viele die Anfallsbereitschaft fördernde Gene wie auch solche, welche die
Anfallsbereitschaft hemmen, die für sich allein nur begrenzt wirksam sind, doch
im Verbund mit anderen Genen sich stärker auswirken können.
Bei jeder Weitergabe werden die Erbanlagen von Vater und
Mutter neu zusammengestellt. Eine ungünstige Kombination anfallsfördernder
Anlagen ist die (komplex-genetische, → polygene)
Ursache einer erhöhten Anfallsbereitschaft, die bei etwa 10 Prozent aller
Menschen im EEG nachgewiesen werden kann. Bei diesen ist
die "Krampfschwelle", bei deren Überschreitung jeder Mensch Anfälle
erleidet, außergewöhnlich niedrig.
Ein zusätzlicher Faktor, der diese Schwelle erniedrigt, kann
eine – oft nur geringe und schwer nachweisbare – Hirnschädigung sein. Siehe
dazu auch: Welche Ursachen haben Epilepsien?
Bei den idiopathischen
(= genetischen) Epilepsien wurden in den letzten Jahren verschiedene
Veränderungen an Genen entdeckt, welche an den Ionenkanalstrukturen der
Nervenzellen mitwirken. Andere Gendefekte beinflussen die Struktur der → Synapsen und bewirken so eine vermehrte
Reizbarkeit der Nervenzellen. Solche Gen-Mutationen können bei ihren Trägern
ohne Auswirkung bleiben, bei anderen – etwa Geschwistern oder Nachkommen - eine
Anfallsbereitschaft bedingen, etwa im Zusammenwirken mit anderen
(modifizierenden) Genen.
Es gibt Eltern, welche unzufrieden sind, wenn sie nach
eingehender Untersuchung ihres Kindes vom Arzt erfahren, dass eine organische
Ursache der Epilepsie ihres Kindes nicht zu finden ist. Sie sollten wissen,
dass dies im Kindesalter häufig ist und können erleichtert sein, weil es dem Kind
gute Aussichten eröffnet, dass das Leiden ausheilt.
Die Annahme einer Veranlagung zu epileptischen Anfällen wird
oft zurückgewiesen mit dem Einwand, dass doch in der ganzen Verwandtschaft kein
Anfallsleiden bekannt sei - was bei den meisten Betroffenen auch zutrifft. Eine
Epilepsie ist in einer Familie in den meisten Fällen eine einmalige Erkrankung,
die bei den Eltern und in der näheren Verwandtschaft nicht vorausgegangen ist
und sich in der folgenden Generation auch nicht wiederholt. Trotzdem können
sich verschiedene, eine Anfallsbereitschaft fördernde erbliche Anlagen bei den
Betroffenen so zusammengefunden haben, dass eine Epilepsie auftritt.
Bei Kindern bedarf es dazu meistens noch einer besonderen
Reifungsphase des Gehirns. Außerdem ist immer möglich - aber nicht notwendig -
dass zu diesen Anlagen noch eine geringfügige organische Ursache tritt, die in
der Vorgeschichte und mit der verfügbaren Diagnostik nicht zu erfassen ist,
aber als zusätzliche Ursache wirkt.
Wie häufig
vererben Eltern ihre Epilepsie auf ihre Kinder?
Bei einer Epilepsie der Mutter
beträgt das Risiko, dass ihr Kind bis zum Alter von 20 Jahren an einer
Epilepsie erkrankt, etwa 8 bis 9 Prozent. Bei einer Epilepsie des Vaters sind
es nur etwa 3 Prozent. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung liegt das
entsprechende durchschnittliche Risiko bei etwa 1 Prozent. Von Bedeutung ist
auch die Art des Anfallsleidens. So ist das Vererbungsrisiko
bei Epilepsien mit primär generalisierten und
idiopathischen Anfällen, z.B. Absencen, deutlich höher
als bei Epilepsien mit symptomatischen Herdanfällen.
Wie
ist das Risiko für Geschwister?
Bei Kindern mit einer Epilepsie, die vor dem 15. Lebensjahr aufgetreten ist, liegt
die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Geschwister ebenfalls an einer Epilepsie
erkranken, bei etwa 5 Prozent. Bei einem Beginn der Epilepsie erst nach einem
Alter von 25 Jahren vermindert sich das Risiko auf 2-3 Prozent. Es ist
natürlich höher bei zusätzlicher Erkrankung eines Elternteils - siehe oben -
und auch abhängig von der Anfallsform.
Für betroffene Eltern ist meistens kaum zu begründen, wegen
einer Epilepsie in der Familie auf Nachkommen zu verzichten, zumal heute - und
in Zukunft sicher noch eher - Epilepsien meist gut behandelbar sind und
besonders im Kindesalter auch oft ausheilen.
Für Familien, in denen mehrere Erkrankungen aufgetreten
sind, besteht ein höheres Risiko. Bei einer Epilepsie beider Eltern liegt das
Risiko für ihr Kind bei 10 bis 30 Prozent. In diesen Fällen können
humangenetische Beratungsstellen eingehendere Auskünfte geben (Adressenliste).