Absencen
Was sind Absencen?
Woran erkennt man Absencen?
Was
sind komplexe Absencen?
Welche
Umstände begünstigen das Auftreten von Absencen?
Was
ist ein Absence-Status?
Wie unterscheiden sich Absencen von ähnlichen
Bewusstseinsstörungen?
Ursache und Behandlung der Absence-Epilepsien
Was sind Absencen?
Unser Bewusstsein
wird durch die Tätigkeit umfangreicher Hirnstrukturen aufrecht erhalten, so
dass in der Regel erst mit einer das ganze Gehirn weitgehend ergreifenden
epileptischen Erregung eine völlige Bewusstlosigkeit eintritt, meistens
zusammen mit anderen generalisierten Anfallserscheinungen.
Besonders bei
Kindern findet sich aber auch ein Bewusstseinsverlust in Form von Absencen als
isoliertes Symptom, als alleinstehendes Merkmal einer Epilepsie. Dabei bewirkt
eine mildere, abgebremst generalisierte epileptische Erregung - die sich so
auch im EEG darstellt - meist nur einen Bewusstseinsausfall von kurzer Dauer.
Das Wort
"Absence" ist französisch und bedeutet "Abwesenheit". Von
Betroffenen – aber auch von Ärzten - wird der Ausdruck oft allgemein für das
Symptom einer Bewusstseinsstörung gebraucht. Der Epileptologe
verwendet den Ausdruck Absencen aber nur für die typischen Abwesenheitszustände
der Absence-Epilepsien. Früher sprach man auch
nur von "kleinen Anfällen" oder benutzte den französischen Ausdruck
"Petit mal" (übersetzt "kleines Übel").
Woran erkennt man Absencen?
Das wesentliche
Merkmal ist eine kurze Bewusstseinspause. Diese tritt bei einer Absence
plötzlich auf und dauert meist nur 5 bis 10 Sekunden, auch bis 20 Sekunden,
selten länger.
Die Betroffenen
halten dabei in der Bewegung inne und reagieren in der Regel nicht auf eine
Ansprache. Das Gesicht wirkt ausdruckslos und der Blick leer. Die
Bewusstseinspause endet so plötzlich wie sie begonnen hat. Nur in Einzelfällen
lässt sich durch einen intensiven akustischen Reiz die Absence unterbrechen.
Die Kinder merken
meist nichts davon, allenfalls beobachtet man am Ende der Absence ein kurzes
"Stutzen" über den Riss in der Wahrnehmung, dann wird die begonnene
Tätigkeit fortgeführt. Für die Zeit der Absence bleibt den Betroffenen in der
Regel keine Erinnerung. Ausnahmen davon gibt es bei älteren Kindern.
Eltern wollen oft
zunächst nicht glauben, dass diese oft kaum bemerkbaren Momente der Abwesenheit
bei ihrem Kind epileptische Anfälle sind.
Wenn während des
Anfalls sonst nichts besonders auffällt, spricht man von einer
"einfachen" (auch "simplen" oder "blanden")
Absence - andernfalls von einer "komplexen Absence".
Was
sind komplexe (ausgestaltete) Absencen?
Bei den meisten Betroffenen fallen außer der
Bewusstseinspause bei den Absencen noch andere Anfalls-Erscheinungen auf. Man
spricht dann von ausgestalteten oder komplexen Absencen. Besonders typische
Formen sind die "reklinativen Absencen", die "myoklonischen
Absencen" und die "Absencen mit Automatismen". Andere Erscheinungen
sind seltener.
Bei den reklinativen Absencen
(lateinisch reclinare =
zurückbeugen) - auch retropulsive Absencen genannt - werden Kopf und Oberkörper
zeitlupenartig langsam, meist steif, manchmal ruckend, nach hinten geneigt. Die
Augen bleiben dabei starr nach vorn gerichtet oder werden - öfter - langsam
nach oben gewendet ("Sternkucker").
Bei myoklonischen Absencen zeigen
die Kinder während der Absencen Myoklonien
(Muskelzuckungen). Sie äußern sich meist in milder Form, auch nur angedeutet oder
nur tastbar, in rhythmischer Folge von etwa drei in einer Sekunde. Man sieht
Myoklonien öfter zunächst im Gesicht, besonders der Augenlider und im
Mundbereich („periorale Myoklonien mit Absencen“), dann auch im
Schulter-Oberarmbereich, gelegentlich mit einem leichten Anheben der Arme.
Dabei sind die Zuckungen meist symmetrisch, das heißt, beide Arme oder
Schultern sind etwa gleich stark und gleichzeitig betroffen.
Eine seltene besondere Erscheinungsform sind Absencen mit
heftigen und sich steigernden, länger dauernden und auch einseitigen
Myoklonien. Diese Form nimmt oft einen ungünstigen Verlauf.
(→Tassinari-Syndrom)
Absencen mit Automatismen sieht man, wenn die Bewusstseinspause
über 10 Sekunden dauert. Dann treten häufig gleichförmig ablaufende
Bewegungsfolgen auf, sogenannte Automatismen. Man sieht sie besonders im
Mundbereich mit Schmatzen, Lecken, Kauen oder Schlucken. Auch ein Nesteln oder
Zupfen mit den Händen kann vorkommen. Nicht unter solche Automatismen fallen
die Bewegungsfolgen, die gelegentlich während einer Absence die vorher
begonnenen Tätigkeiten, wie Laufen oder Schreiben oder Schwimmen, unsicher und
fehlerhaft - "wie automatisch" - fortsetzen.
Eine andere Form sind die meist kurzen "Blinzelabsencen",auch Blinzelanfälle ohne
begleitende Absencen. Sie werden bei einigen Kindern oft schon durch einen
willkürlichen oder den unwillkürlichen Lidschluss ausgelöst (→ Jeavons-Syndrom).
Eine leichte Versteifung der Körperhaltung oder nur
einzelner Glieder bei "tonischen Absencen",
eine Wendung des Kopfes und der Augen zu einer Seite ("versive Absencen") oder ein angedeutetes Fallen
des Kopfes und Oberkörpers nach vorn ("Absencen
mit Tonusverlust") sieht man selten. Auch Absencen mit
Pupillenerweiterung, Erröten, Erblassen oder Einnässen ("vegetative Absencen") kommen nur vereinzelt
vor.
Welche
Umstände begünstigen das Auftreten von Absencen?
Absencen treten in den frühen Morgenstunden häufiger auf.
Ein Schlafentzug am Abend mit sehr spätem Einschlafen kann Ursache gehäufter
Absencen am folgenden Morgen sein, gelegentlich auch Ursache eines
Absence-Status (siehe unten) oder eines erstmaligen großen
Krampfanfalls.
Bei etwa drei von zehn Kindern mit Absencen zeigt das EEG eine Empfindlichkeit auf raschen Lichtwechsel, eine "Fotosensibilität". Bei einigen besonders
fotosensiblen Kindern lassen sich durch "Flickerlicht" und z.B auch
durch das Fernsehen - Absencen
hervorrufen.
Absichtliches tiefes und schnelles Ein- und Ausatmen, eine
"Hyperventilation", ruft durch eine vermehrte Abatmung einen
Kohlensäuremangel im Körper und damit Absencen hervor. Bei Kindern mit noch
unbehandelten Absencen genügt dazu meist schon eine Hyperventilation von ein
bis zwei Minuten.
Auch körperliche Belastungen führen zu einer - unwillkürlich
- vertieften Atmung. Diese bewirkt jedoch nur die Abatmung eines
Kohlensäure-Überschusses, welcher durch die körperliche Anstrengung entstanden
ist, und keinen Mangel. Daher ist eine sportliche Aktivität für Absence-Kinder
unbedenklich.
Dagegen können psychische Belastungen, etwa in der Schule
eine Klassenarbeit, eine Häufung von Absencen auslösen – möglicherweise durch
eine Aufregungs-bedingte Hyperventilation.
Was
ist ein Absence-Status?
Besonders morgens nach dem Aufwachen und vor allem in der
Pubertät können Absencen so gedrängt hintereinander auftreten, dass die
Betroffenen eine Bewusstseinsstörung von vielen Minuten bis zu Stunden Dauer
zeigen. Bei einem solchen "Absence-Status" (lateinisch status = Zustand) ist die
Bewusstseinsstörung nicht so tief wie bei einzelnen Absencen. Die Kinder wirken
aber erheblich verträumt, umdämmert, verlangsamt, ohne Antrieb und apathisch.
Einfache Anweisungen werden gelegentlich verstanden und befolgt, auch einfache
Antworten gegeben.
Der Status bedarf einer umgehenden ärztlichen Behandlung.
Wie unterscheiden sich Absencen von ähnlichen
Bewusstseinsstörungen?
An der Diagnose
"Absencen" darf vor einer Behandlung kein Zweifel bestehen. Ähnliche
- nichtepileptische - Bewusstseinsstörungen gibt es gelegentlich bei
Kreislaufstörungen. Diese sind meist mit Blässe und Kollapserscheinungen
verbunden. Das "Tagträumen" ist bei Schulkindern nicht selten,
besonders wenn sie müde oder überfordert sind und "abschalten". Ein
solches Tagträumen tritt meist bei untätigem Sitzen auf, sein Beginn ist
undeutlich, es ist immer durch eine harte Ansprache zu unterbrechen und wirkt
nicht so unnatürlich wie eine Absence, die oft eine Tätigkeit - etwa Essen,
Sprechen, Schreiben, Spielen - unmotiviert unterbricht.
Auch andere
epileptische Anfallsformen mit Bewusstseinsstörungen, wie "atypische
Absencen" und "komplex-fokale Anfälle" müssen ausgeschlossen sein.
Die Abwesenheitszustände der komplex-fokalen Anfälle - von erwachsenen
Betroffenen und selbst von Neurologen oft auch Absencen genannt - sind keine Absencen
im epileptologischen Sprachgebrauch. Bei Erwachsenen kommen typische Absencen
nur noch selten vor. In Zweifelsfällen gelingt die richtige Diagnose in der
Regel mit Hilfe des EEG-Befundes.
Was sieht man
bei Absencen im EEG?
Zur Diagnose von Absencen benutzt man bei der
EEG-Ableitung die Fotostimulation und die Hyperventilation,
um verwertbare Anfallsmuster in der Kurve zu erhalten. In einigen Fällen werden
auch ein Schlafentzug und die Ableitung am Morgen
genutzt.
Gleichzeitig mit einer Absence treten im EEG unter allen
Ableitungspunkten ("generalisiert") stark wechselnde Spannungen auf,
die als plötzlich aufschießende Ketten hoher, sich regelmäßig abwechselnder
Spitzen und Wellen aufgezeichnet werden. In allen Kurvenkanälen, also über
allen Hirngebieten – mit Betonung und
gelegentlich auch nur über den vorderen (frontalen) Hirnabschnitten -
erscheinen so gleichzeitig Spitze-und-Welle-Muster ("spike-wave-Komplexe")
etwa drei mal in einer Sekunde. Einzelne solche Muster oder kurze Gruppen davon
finden sich im EEG oft auch in der Zeit zwischen den Absencen, wobei man dem
Kind nichts anmerkt.
Siehe dazu: Die Absence-Epilepsien – Ursache und Behandlung
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tonisch-klonischer Anfall?