Was sind
komplex-fokale Anfälle?
(andere
Bezeichnungen: fokale Anfälle mit
eingeschränktem Bewusstsein, komplex-partielle Anfälle, Dämmerattacken,
psychomotorische Anfälle, Schläfenlappenanfälle, Temporallappenanfälle)
Von
den einfach-fokal genannten Anfällen unterscheidet sich
diese Anfallsart durch eine Bewusstseinsstörung, wobei es oft nur zu einer
"Einengung" des Bewusstseins kommt, bei der noch Wahrnehmungen und
Reaktionen (unangemessene, oft nur abwehrende) möglich sind.
Die meist
komplex-fokal oder komplex-partiell genannten Anfälle sind bei Erwachsenen eine
häufige Anfallsform. Bei Kindern treten sie seltener auf, seltener als etwa Absencen. Bei Säuglingen und
Kleinkindern sind sie meist wenig ausgestaltet und beschränken sich oft auf
Absencen-ähnliche kurze Bewusstseinsstörungen.
Ein
komplex-fokaler Anfall kündigt sich manchmal schon in den Stunden vorher mit "Vorboten" an, etwa durch
eine besondere Reizbarkeit. Kurz vorher kommt es oft zu einer sogenannten "Aura", etwa mit einer
vom Betroffenen empfundenen eigenartigen Übelkeit, einem Angstgefühl
(„emotionale Aura“), Lichtblitzen oder Geräuschen ("sensorische
Aura") oder anderen Erscheinungsformen
fokaler Anfälle. Eine solche Aura gehört schon zum Anfall, wird
jedoch als fokaler Anfallsbeginn noch bewusst wahr genommen.
Die
mehr allmählich als plötzlich einsetzende Bewusstseinseinschränkung mit
Unterbrechung einer sinnvollen Tätigkeit und abwesendem Blick dauert bei
älteren Kindern und Erwachsenen meist über eine halbe Minute bis mehrere
Minuten. In manchen Fällen ist der Anfallsablauf für Außenstehende kaum
erkennbar, und die Betroffenen erscheinen dabei nur etwas eigenartig oder
verwirrt.
Die diagnostische Abgrenzung kann schwierig sein etwa bei sensorischen oder vegetativen Anfällen – die zunächst als
einfach-fokal anmuten - wenn diese wegen der dabei oft auch bestehenden
leichten Bewusstseinsveränderungen als mit einer Bewusstseinsstörung
einhergehend gedeutet werden können. Auch deswegen sollte nach Empfehlung der ILAE (2017) der Ausdruck „Komplex-fokaler
Anfall“ ersetzt werden durch „Fokaler
Anfall mit eingeschränktem Bewusstsein“, und das Maß der bewussten Erfahrung des Anfalls - der Grad des
Bewusstseins bei einem Anfall – sollte in der Anfallsbezeichnung enthalten
sein.
Auch
bei völligem Bewusstseinsverlust wird in der Regel die Körperhaltung bewahrt
und es kommt nicht zu einem Sturz.
Meistens
zeigen sich stärker ausgestaltete Automatismen, wie Schmatzen und Kauen,
Grimassieren, Klopfen mit einer Faust, Nesteln an der Kleidung, Scharren mit
den Füßen, Ausstoßen von Lauten oder auch unsinnigen, oft wiederholten
Äußerungen oder Fragen. Es können sinnlose, dabei durchaus geordnete Handlungen
ablaufen, an die sich die Betroffenen später nicht erinnern können, wie ein
Umherlaufen, Fensteröffnen oder Sich An- oder Auskleiden. Auch eine Ausbreitung
der Erregung auf das ganze Gehirn und damit ein Einmünden des komplex-fokalen Anfalls in
einen "sekundär generalisierten Anfall" ist möglich. Solche
sekundär generalisierten Anfälle treten meistens ohne tageszeitliche Bindung,
bei anderen Betroffenen nur im Schlaf als "Schlaf-Grand mal" in
Erscheinung.
Am Ende des
Anfalls kommt es in der Regel nur allmählich zu einer Normalisierung des
Bewusstseins, und die Betroffenen sind zunächst etwas verwirrt und müde. Auch
nach dieser "Reorientierung" (die meist Minuten dauert, gelegentlich
Stunden) kann eine Erinnerungslücke auch für Handlungen kurz vor dem Anfall
bleiben.
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