Nichtepileptische anfallsartige Erscheinungen bei Neugeborenen und Säuglingen

Vorbemerkung: Bei Säuglingen, besonders bei Neugeborenen, ist die Deutung der vielfältigen anfallsartigen Erscheinungen oft schwierig, auch ihre Abgrenzung von den – ebenso vielförmigen - epileptischen Anfällen. Zur Diagnostik ist es für den Arzt sehr hilfreich, wenn die Eltern von solchen - manchmal nur selten auftretenden – Vorfällen ein Video aufnehmen.

1.     Zuckungen im Schlaf

2.     Schauderanfälle wie Frösteln

3.     Übererregbarkeit

4.     Abwärtsblick, tonischer

5.     Aufwärtsblick, tonischer

6.     Umklammerungsreflex

7.     Auffällige Bewegungsmuster

8.     Rhythmisches Schaukeln

9.     Selbststimulation

10.  Bizarre Streckhaltungen

11.  „Wegschreien, Wegbleiben“

1. Die gutartigen Schlafmyoklonien des Säuglings beginnen in der Regel schon im Neugeborenenalter – d.h. in den ersten 30 Lebenstagen. Sie treten nur bei Müdigkeit und im Schlaf auf. Es sind rhythmische wie auch irreguläre Zuckungen von mehreren Minuten, ausnahmsweise auch von über einer halben Stunde Dauer, die sowohl generalisiert als auch an wechselnden Gliedmaßen zu sehen sind und immer durch Aufwecken des Kindes zu beenden sind. Sie verschwinden in der Regel bis zum 6. Lebensmonat. Das EEG ist bei diesen Kindern zwischen den Anfällen und während der Anfälle normal. Die Schlafmyoklonien sind somit keine epileptischen myoklonischen Anfälle.

2. Schauderanfälle sind Frösteln-ähnliche – bis mehrere Sekunden anhaltende - nichtepileptische Zitteranfälle gesunder Säuglinge, auch bis ins 2. Lebensjahr. Sie erfolgen nur im Wachzustand und sind besonders bei aufregenden Ereignissen (z.B. bei der Nahrungsaufnahme) zu sehen. Dabei besteht keine Bewusstseinseinschränkung und auch ein normales EEG. Später entwickeln sich die Kinder unauffällig.

3. Die Hyperekplexie (auch Startle-Krankheit genannt) ist eine sehr seltene, erbliche Erkrankung. Dabei besteht eine extreme Schreckhaftigkeit und Übererregbarkeit schon im Neugeborenenalter. Besonders auf akustische und Berührungsreize erfolgen starkes Zittern der Arme und Beine, Verkrampfung der Hände und Finger, steife Rückbeugung des Kopfes (→ Opisthotonus), auch Atemstillstand mit Blauwerden (Cyanose). Erschrecken bewirkt einen übersteigerten Moro-Reflex („startle reaction“), wobei die Arme weit auseinandergerissen werden. Das Bewusstsein bleibt dabei stets erhalten. Die Diagnose stützt sich vor allem auf die dauernd verstärkte Muskelanspannung („stiff baby syndrome“), den Glabella-Reflex (starkes „Augenzukneifen“ nach Stups oberhalb der Nase zwischen die Brauen), sowie – gelegentlich lebensgefährliche → Myoklonien mit Atemstillstand auch im Schlaf. Eine spontane Besserung erfolgt in der Regel mit zunehmendem Alter. Im späteren Kindesalter oft noch übersteigerte Schreckreflexe mit Sturz. Notfalls werden vorübergehend Medikamente eingesetzt. 

4. Der tonische Abwärtsblick (sehr selten) tritt auf bei i. d. R. gesunden Säuglingen. Dabei blicken die Augen – plötzlich und unmotiviert - etwa eine bis mehrere Sekunden starr nach unten. Ein Augenzittern (vertikaler → Nystagmus) kann dabei vorkommen. Er verschwindet i. d. R. nach einigen Wochen von selbst und stört nicht die Entwicklung des Kindes.

 

5. Der tonische Aufwärtsblick tritt meist erst im Kleinkindesalter – aber auch schon im Säuglingsalter - auf. Dabei besteht kurzzeitig ein starrer Blick mit beiden Augen nach oben von einigen Sekunden Dauer bei erhaltenem Bewusstsein. Beim Versuch, wieder nach unten zu sehen, kommt es oft zu einem „nach unten schlagenden“

Nystagmus . Eine Bewegungsunsicherheit (→ Ataxie) kann diese Momente begleiten. Motorische Entwicklungsstörungen – etwa verpätetes Laufenlernen, Muskelschlaffheit und Ataxie– werden gelegentlich bei den betr. Kindern – meist vorübergehend - gesehen. Im übrigen entwickeln sich die Kinder sonst meist unauffällig, und auch das Aufwärtsblicken schwächt sich ab und verschwindet nach einigen Monaten bis Jahren.

6. Der Moro-Reflex (beschrieben zuerst 1918 vom Kinderarzt Ernst Moro) ist ein normaler Schutzreflex (Umklammerungsreflex) jedes Säuglings in den ersten 3 Lebensmonaten: Ein plötzlicher ungewohnter Reiz, ein Zurückfallenlassen des zuvor unterstützten Kopfes, auch brüske Rückbeugung des Oberkörpers, bewirkt ein ruckartiges Strecken beider Arme mit Fingerspreizung, auch Mundöffnung mit Einatmung, gelegentlich zusätzlicher Hüftbeugung. Danach werden die Arme zurück an den Körper geführt und die Hände gefaustet. Bei schreckhaften Kindern kann der Moro-Reflex sehr häufig auftreten, auch aus dem Schlaf heraus, und bis ins Kindesalter bestehen bleiben. Er schwindet in der Regel nach dem dritten Lebensmonat allmählich und wird durch einen normalen Schreckreflex abgelöst  – ein kurzes Zusammenzucken, wie man es auch bei Erwachsenen sieht. 

7. Stereotypien, gleichförmig sich wiederholende Bewegungsmuster, werden bei Säuglingen und Kleinkindern häufiger gesehen. Ein Rumpfschaukeln oder Gesichterschneiden (Grimassieren) wird von Eltern meist nicht als ungewöhnlich empfunden, wenn es gelegentlich und vorübergehend und in besonderen Situationen (z.B. Angst, Stress, Langeweile) auftritt. Zum Arzt führt gelegentlich ein gehäuftes, excessives und unmotiviertes Auftreten, besonders von ungewöhnlichen Bewegungsmustern wie Unterarm- oder Beineschütteln, Händeklatschen, Fingerreiben oder Grimassieren. Meistens sind sie als gutartige vorübergehende Bewegungsstereotypien einzuordnen, wie auch

8. die Jactationen mit rhythmischem, stereotypem Hin-und her-Wälzen/ -Schlagen/ -Schaukeln des Kopfes und Körpers (lat: Jactatio capitis et corporis nocturna), die meist beim Einschlafen auftreten, beginnend noch halbwach und bis in den Leichtschlaf, meist schon im späten Säuglingsalter. Oft dabei auch Lautäußerungen wie Brummen. Sie werden auch als eine Art beruhigender Selbststimulation gesehen.

9. Die Selbststimulation kommt nicht selten schon bei Säuglingen ab 3 Monaten und bei Kleinkindern vor, fast nur bei Mädchen. Dabei sieht man in stereotyp sich wiederholender Form wippende und schaukelnde Körperbewegungen, mit Zusammenpressen der Oberschenkel, auch Erröten des Gesichts, Schwitzen und Stöhnen. Dauer Minuten bis selten Stunden. Die Kinder hören meist nach einigen Wochen oder Monaten spontan damit auf.

10. Das Sandifer-Syndrom, benannt nach dem Neurologen Dr. Paul Sandifer, sieht man schon im Säuglingsalter, vermehrt im 2.- 3. Lebensjahr. Dabei Auftreten plötzlicher – z.T. bizarrer - tonischer Streckhaltungen der Arme, auch mit Überstreckung des Kopfes und Oberkörpers nach hinten, sowie tonische (steife) Kopfwendungen zur linken Seite bis zu mehreren Minuten Dauer, oft mehrmals täglich meist während oder nach der Nahrungsaufnahme. Als Ursache gilt u.a. eine Schmerzreaktion des Kindes auf einen Rückfluss vom Magen in die Speiseröhre. Das EEG kann epileptische Anfälle ausschließen. Von diesem Syndrom zu unterscheiden ist

11. Affektkrämpfe („Wegschreien“)    (Andere Bezeichnungen: Respiratorische Affektanfälle, breath-holding spells, Schreikrämpfe, Wegbleiben, Wegschreien, Wutkrämpfe)  gibt es – nicht selten - schon beim älteren Säugling.

Nichtepileptische anfallsartige Erscheinungen bei Kleinkindern

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