Das Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS)

Der Neurologe William G. Lennox (Boston) beschrieb 1945 erstmals Besonderheiten von Epilepsien bei Kindern, deren EEG auffällig war durch die von ihm so genannten "Spike-Wave-Variant" - Muster. Der Epileptologe  H. Gastaut (Marseille) befasste sich ebenfalls eingehend mit dem Syndrom.

Kinder ab dem 2. Lebensjahr sind betroffen, am häufigsten Kleinkinder von 2 bis 5 Jahren, etwas mehr Jungen als Mädchen. In selteneren Fällen beginnt das Leiden erst im Schulalter, noch seltener später, bis zum 3. Lebensjahrzehnt.

 

Welche Ursachen hat ein LGS?

Wie beim West-Syndrom sind auch beim LGS symptomatische Erkrankungen am häufigsten, also solche, bei denen Entwicklungsstörungen oder Schädigungen des Gehirns festgestellt werden können. Bei etwa 20 Prozent der Betroffenen entwickelt sich das LGS aus einem symptomatischen West-Syndrom mit meist fließendem Übergang im 2. Lebensjahr. Auch finden sich in der Vorgeschichte häufig Angaben über Neugeborenenkrämpfe, fokale und generalisierte Anfälle. Etwa ein Drittel der Fälle entfällt auf die kryptogenen oder idiopathischen Formen. Es gibt somit keine einheitliche Ursache des LGS.
 

Welche Anfälle kommen beim LGS vor?

Bei einem LGS treten immer mehrere Anfallsformen in Erscheinung.

Tonische Anfälle  kommen in unterschiedlicher Ausprägung vor. Im Schlaf treten sie auch gehäuft auf, oft wenig wahrnehmbar mit kurzen Versteifungen des Körpers, zum Teil auch der Extremitäten, besonders der Arme mit meist Beugung und Anhebung und leichter Innendrehung, oft seitenbetont. Die Augen können dabei kurz krampfhaft geöffnet und verdreht werden und es kann bei geöffnetem Mund ein kurzes Stöhnen wahrgenommen werden. Doch auch heftige schmerzhafte und erschöpfende tonische Anfälle können auftreten, bis zu einer halben Minute andauernd, gelegentlich mit einem kurzen gepressten Schrei beginnend.

Die tonischen Anfälle am Tage sind besonders gefürchtet als tonische Sturzanfälle, bei denen die Kinder tonisch verkrampft nach vorn, zur Seite oder nach hinten fallen und schwere Verletzungen, besonders am Kopf, erleiden können, weshalb Sturzhelme getragen werden müssen. Der blitzartige Sturz wird dabei in der Regel durch eine ruckartige mäßige Beugung von Kopf und Rumpf sowie im Hüftgelenk hervorgerufen, die halbgebeugten Arme dabei außengedreht angehoben.

Atypische Absencen sind ebenfalls eine LGS-typische Anfallsform. Diese neigen beim LGS zu statusartiger Häufung, während der das Kind über viele Minuten (bis Stunden und Tage) fast ununterbrochen nicht oder wenig ansprechbar und wie im Trance erscheinen kann.

Atonisch-astatische Sturzanfälle, auch Nickanfälle, bei denen die Betroffenen bei Verlust des Muskeltonus in sich zusammensacken, sind seltener.

Myoklonische Anfälle können vorkommen, besonders bei Müdigkeit auch gehäuft. Beim LGS betreffen sie in der Regel immer auch den Rumpf und sind nicht beschränkt auf den Schulter-Arm-Bereich. Sie können den Blitzkrämpfen des West- Syndroms gleichen und können auch Ursache von Sturzanfällen sein, bei denen die Kinder durch die blitzartigen Rumpf-Spasmen zu Boden geschleudert werden.

Tonisch-klonische Anfälle, vor allem Grand mal mit erkennbar fokalem Beginn, können im Verlauf und auch schon zu Beginn des LGS auftreten.

Alle Formen fokaler Anfälle können - meist erst im späteren Verlauf - vorkommen, auch solche mit eingeschränktem Bewusstsein (komplex-fokale Anfälle).

Die Anfälle - auch das ist für das LGS kennzeichnend - neigen dazu, gehäuft und als Staten aufzutreten. Daneben gibt es oft - auch ohne Änderung der Therapie – Episoden mit nur wenigen Anfällen.


 

Was zeigt das EEG?

Außer den schon von Lennox herausgestellten Spike-wave-Varianten, das sind besondere Spike-wave- Muster wechselnder Amplitude und einer langsameren Folge von etwa 2 pro Sekunde, oft betont über den seitlichen vorderen Hirnabschnitten, findet man multifokale und generalisierende sharp slow waves wechselnder Ausprägung, zunehmend und vermehrt generalisierend im Schlaf, ähnlich einer Hypsarrhythmie wie beim West-Syndrom. Der Grundrhythmus ist meistens verlangsamt. Im Schlaf sieht man oft Serien von raschen Spitzen ("tonische Muster").


 

Welche Merkmale ergeben die Diagnose Lennox-Gastaut-Syndrom?

Die Diagnose LGS erfordert die oben genannten besonderen EEG-Kennzeichen. Außerdem - so heute die überwiegende Ansicht - unbedingt das Vorkommen tonischer Anfälle sowie weiterer - somit mehrerer - LGS-typischer sekundär generalisierender Anfallsformen. Hinzu kommen noch - mit Ausnahmen - das typische Kindesalter, Entwicklungsstörungen unterschiedlicher Ausprägung, die erhebliche Schwierigkeit der Behandlung und die ungünstige Prognose. Das LGS zeigt besonders deutlich, daß bei der ungemeinen Vielfalt der Ursachen, Erscheinungsformen und Verläufe von Epilepsien sich Krankheitsbilder oft schwer eingrenzen lassen und Übergänge zu ähnlichen Syndromen fließend sind.

 

Welche Epilepsien sind dem LGS ähnlich und müssen von ihm unterschieden werden?

Auf ein "Pseudo-Lennox-Syndrom" weisen neben dem dabei i.d.R. unauffälligem MRT vor allem die dabei fehlenden tonischen Anfälle. Die myoklonisch-astatische Epilepsie ist meist durch das EEG und die im Vordergrund stehenden myoklonischen und myoklonisch-astatischen Anfälle abzugrenzen. Von den myoklonischen Epilepsien und - wie schon erwähnt - vom West-Syndrom gibt es Übergänge zum LGS.

 

Wie sind die Verläufe und die weiteren Aussichten?

Durch Medikamente sind nur bei wenig mehr als jedem zweiten Kind die Häufigkeit oder Schwere der Anfälle zu bessern. Nur 5 bis 10 Prozent werden auf lange Sicht anfallsfrei, etwa gleich wenige bleiben auch später intellektuell unauffällig, in der Regel nur solche, welche sich auch vor dem Auftreten der Anfälle unauffällig entwickelt haben und keine vorgegebenen Hirnschädigungen nachweisen lassen. Eine Beeinträchtigung der geistigen und psychosozialen Entwicklung der betroffenen Kinder, die meistens schon vor Auftreten der Anfälle deutlich ist, nimmt im Laufe der Erkrankung in der Regel zu. Dies liegt zum Teil an der ursächlichen Grunderkrankung, wie frühkindlichen Hirnschäden und fortschreitenden Hirnfehlentwicklungen, wird aber auch durch Anfallstaten verursacht und zeigt sich oft durch die Medikation verstärkt. Für die Prognose ungünstig sind ein früher Beginn des LGS und häufige tonische Anfälle.

 

Gibt es Richtlinien zur Behandlung des LGS?

Allgemeingültige Empfehlungen zur Behandlung gibt es nicht. Jedes Mittel kann versagen. In erster Linie wird heute meist Valproat eingesetzt, bei Versagen in Monotherapie vor allem in Kombination mit Lamotrigin, Levetiracetam, Felbamat, Topiramat, Rufinamid oder Zonisamid. Je nach den im Vordergrund stehenden Anfallsformen können u. a. auch Ethosuximid oder Methsuximid, Primidon, Oxcarbazepin, Pregabalin, Phenytoin und Benzodiazepine eingesetzt werden und Besserungen bringen. Eine neue Möglichkeit der Behandlung, vor allem bei Sturzanfällen, ist Cannabidiol. Die ACTH - oder Corticosteroidbehandlung ist eine weitere Möglichkeit, die beim LGS jedoch seltener als beim West-Syndrom angewandt wird.
Unverhältnismäßige Nebenwirkungen und unnötige Kombinationen mit wenig wirksamen oder unterdosierten Mitteln sollten vermieden werden. Auch beim LGS ist eine gut ausdosierte Monotherapie oft die beste Lösung. Meistens wird eine Kombinationstherapie angewandt; dabei sollten in der Regel nicht mehr als zwei, höchstens drei Mittel kombiniert werden.  Eine epilepsiechirurgische Operation mit Entfernung eines Herdes kann gelegentlich bei isolierten Hirndefekten oder -fehlbildungen als ursächlichem Herd erfolgreich sein. Die ketogene Diät bietet in arzneitherapieresistenten Fällen eine weitere Behandlungsmöglichkeit. Bei konsequenter Anwendung soll sie in etwa jedem dritten Fall eine erhebliche Besserung bewirken. Eine weitere Therapiemöglichkeit bietet die Vagusnervstimulation.

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